Definition:
Als Kolophone werden gemeinhin Zusätze von Schreibern und Schreiberinnen verstanden, die am Schluss von Handschriften respektive der verschriftlichten Texte stehen. Zumeist enthalten Kolophone verschiedene Informationen zur Entstehung und Situierung der Handschrift. Dazu gehören vor allem der Name des Schreibers/ der Schreiberin sowie Hinweise zu Entstehungsort und -zeit der Handschrift:

Verschiedentlich findet man für diese Phänomene auch die Bezeichnungen ‚Schreibersignatur‘ oder ‚Schreiberspruch‘, weiterhin gibt es eine Überschneidung mit dem Begriff ‚Subskription‘. In der Romanistik etwa wird der Begriff Kolophon oft auf Angaben zur Datierung und zum Schreibort beschränkt und von der Subskription als Namenssignatur unterschieden, dagegen ist die Bezeichnung Kolophon in der germanistisch-mediävistischen Forschung als Sammelbegriff für alle diese Merkmale gebräuchlich, vgl. die folgende Definition:
„Kolophon, Zusatz am Schluß eines Textes, der […] Bemerkungen zur Entstehung einer Druckauflage bzw. einer Handschrift enthält. Im Kolophon können Ort und Datum einer Abschrift, Schreiber, Maler, Korrektor, Auftraggeber oder sonstige Personen genannt sowie persönliche Äußerungen gemacht werden.“ (Herrad Spilling: Art. Kolophon in Lexikon des Mittelalters, hg. Robert Auty u.a., 9 Bde., 2. Aufl. München 2003, Bd. 5, Sp. 1272 f.)
Kolophone sind nicht auf die grundlegende Funktion beschränkt, pragmatische Informationen zur Handschriftenentstehung zu geben, die im gedruckten Buch der Frühen Neuzeit zunehmend in andere paratextuelle Bereiche wie das Impressum ausgelagert werden. Sie werden auch für verschiedene Formen der Kommentierung genutzt, die sowohl formelhaft als auch individuell gestaltet sein können. Für diese Kommentierungen wurden im Rahmen der Projektarbeit fünf semantische Kategorien gebildet, die den erfassten Kolophonen zugewiesen werden können.
Beispiele und semantische Kategorien
1. Ein häufiges Merkmal sind geistliche Formeln und Fürbitten, mit denen die Schreiber Gottes Segen und/ oder spirituellen Lohn für ihre Tätigkeit erbitten. Hierbei kann auch die fürbittende Hilfe der Buchbenutzer/ Rezipienten erbeten werden:

2. Manchmal enthalten Kolophone Reflexionen auf den verschriftlichten Text oder den Codex:

3. Viele Kolophone verzeichnen Reflexionen auf die Schreibtätigkeit in ihren körperlichen wie auch geistigen Dimensionen:

oder

oder

Recht häufig finden sich in diesem Zusammenhang Fürbitten für die Hände des Schreibers, die gesegnet und erhalten werden sollen:

4. Von besonderem Interesse sind die vergleichsweise seltenen Kolophone, in denen sich Selbstaussagen der Schreiber/ Schreiberinnen, also Angaben zur eigenen Person finden:

5. Ein weiteres Merkmal, dem semantische Signifikanz zugesprochen wird, ist eine ausgefallene oder besonders poetische Gestaltung von Kolophontexten, da diese auf ein elaboriertes Selbstverständnis der schreiberischen Tätigkeit schließen lässt. Dazu gehören z. B. gereimte Kolophontexte:

Kriterien der Erfassung
Nicht immer ist die Bestimmung von Kolophonen und die Abgrenzung von anderen Textphänomenen eindeutig. Im Rahmen der Datenerhebung für das DFG-Projekt wurde die Arbeitsdefinition für Kolophone genauer konturiert und um weitere Kriterien ergänzt. Im Folgenden werden die wesentlichen Parameter skizziert, nach denen über die Erfassung von Kolophonen entschieden wird, um die Struktur des Projekt-Datenbestandes nachvollziehbar zu machen.
Kolophone ohne pragmatische Daten:
Es werden auch solche Schreiberverse als Kolophon aufgenommen, die keine der typischen pragmatischen Informationen wie Schreibername/ Datierung/ Ort enthalten, sofern diese in anderer Form einen dezidierten Bezug zur Schreibinstanz bzw. zum Schreibprozess formulieren. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Kolophontext sichtbar vom Haupttext abgegrenzt ist.

Schreibernamen:
Schreibernamen werden immer als Kolophon aufgenommen, auch wenn sie nicht durch weitere Inhalte, Formeln oder Kommentare ergänzt werden, da die Namensnennung allein schon eine signifikante Markierung der Schreibtätigkeit und des Selbstbewusstseins der Schreibenden darstellt. Initialen allein werden hingegen nicht aufgenommen, da nicht sicher bestimmt werden kann, ob diese sich auf einen Schreiber/ eine Schreiberin beziehen.
Datierungen:
Eine einfache Datierung in Zahlenform ohne weitere Angaben wird nicht als Kolophon erfasst. Dagegen wird eine Datierung in Textform, die z. B. durch die Angabe von christlichen Feiertagen dargestellt ist, als Kolophon gelesen. Solche vertexteten Datierungen können sehr variabel gestaltet sein und stellen damit im Unterschied zu einer numerischen Datierung eine individuelle Artikulation der Schreibinstanz dar.

Endstellung:
Schreibertexte, die an anderer Stelle als am Ende des Codex oder eines der enthaltenen Texte stehen, z. B. Incipits, Glossen oder Federproben, werden nicht als Kolophone erfasst, auch wenn sie Kommentare zum Text oder zum Schreibprozess enthalten.
Differenzierung Kolophon und Explicit/ Qualität von Formeln:
Kolophone sind nicht identisch mit Explicits, also mit Textschlussformeln, wie sie am Ende eines großen Teils der Texte in mittelalterlichen Handschriften zu finden sind, wie z. B. explicit, finitus est oder auch geistliche Formeln wie deo gracias. In der Forschung wird nicht immer zwischen Kolophonen und Explicits unterschieden, da beide auf die Schreiber/ Schreiberinnen der jeweiligen Handschrift zurückgehen können. Nicht immer lässt sich aber genau bestimmen, ob die Explicits tatsächlich den Schreibern/ Schreiberinnen der jeweiligen Handschrift zuzuordnen sind oder als Bestandteil des verschriftlichten Textes kopiert wurden (was gelegentlich auch bei Kolophonen der Fall ist).
Im Projekt wird das Explicit als Textschlussformel vom Kolophon als Kommentar zum Abschluss des Schreibprozesses differenziert (ähnlich unterschieden z. B. bei Schiegg 2016, S. 130; Smith 2000, S. 30 f.). Auch wenn sie im Kontext der jeweiligen Handschrift entstanden sind, stellen reine Explicit-Formeln wie explicit oder finitus est/ completus est keinen besonderen Bezug zur Schreibinstanz, Schreibtätigkeit oder dem Codex her und werden daher nicht als Kolophon erfasst. In den Kolophon-Datensätzen werden aber immer die Explicits bzw. die Schlussverse des dem Kolophon voranstehenden Textes miterfasst und als eigenes Transkript bereitgestellt. So kann die Frage der Abgrenzung von Explicit und Kolophon im Einzelfall nachvollzogen und individuell bewertet werden, auch können durch die parallele Abbildung der Transkripte etwaige semantische Relationen zwischen Explicit und Kolophon sichtbar gemacht werden.

Anno domini M°CCCC°LXXXIX°.
Bitten gott fir mich arme durch gott; Cgm 416, fol. 161v
Ähnlich der Abgrenzung von Explicit und Kolophon ist die Frage nach der Bewertung von geistlichen Schlusswörtern und Kurzphrasen wie Amen oder Deo gracias. Diese Formeln werden allein nicht als Kolophon gefasst. Diese das Textende ausdrückenden Formeln finden sich im Anschluss an einen sehr großen Teil der in den Handschriften des Mittelalters überlieferten Texte, auch wenn sie originär von den Schreibern/ Schreiberinnen hinzugefügt sind, haben sie für sich allein keinen spezifischen Aussagewert für die Schreibinstanz oder den Schreibprozess. Diese Formeln als Kolophone aufzunehmen, würde den Aussagewert der Datensammlung verwässern.

Solche Formeln werden daher nur erfasst, wenn sie mit weiteren Angaben wie Datierungen, Schreibernamen oder anderen Inhalten verbunden sind.
