DFG-Projekt: Kolophone in deutschsprachigen Handschriften des Mittelalters

Kolophone: Definition, Beispiele und Kriterien der Erfassung

Definition:

Als Kolophone werden gemeinhin Zusätze von Schreibern und Schreiberinnen verstanden, die am Schluss von Handschriften respektive der verschriftlichten Texte stehen. Zumeist enthalten Kolophone verschiedene Informationen zur Entstehung und Situierung der Handschrift. Dazu gehören vor allem der Name des Schreibers/ der Schreiberin sowie Hinweise zu Entstehungsort und -zeit der Handschrift:

Ditz buoch ward geendet zu Hochstetten uff donrstag vor dem Sunntag Cantate vor Waltburgis von Conradus Schreyber von Ötingen Anno domini M CCCCmo LVIIImo [27. April 1458]; Abb. Cpg 4, fol. 197v

Verschiedentlich findet man für diese Phänomene auch die Bezeichnungen ‚Schreibersignatur‘ oder ‚Schreiberspruch‘, weiterhin gibt es eine Überschneidung mit dem Begriff ‚Subskription‘. In der Romanistik etwa wird der Begriff Kolophon oft auf Angaben zur Datierung und zum Schreibort beschränkt und von der Subskription als Namenssignatur unterschieden, dagegen ist die Bezeichnung Kolophon in der germanistisch-mediävistischen Forschung als Sammelbegriff für alle diese Merkmale gebräuchlich, vgl. die folgende Definition:

„Kolophon, Zusatz am Schluß eines Textes, der […] Bemerkungen zur Entstehung einer Druckauflage bzw. einer Handschrift enthält. Im Kolophon können Ort und Datum einer Abschrift, Schreiber, Maler, Korrektor, Auftraggeber oder sonstige Personen genannt sowie persönliche Äußerungen gemacht werden.“ (Herrad Spilling: Art. Kolophon in Lexikon des Mittelalters, hg. Robert Auty u.a., 9 Bde., 2. Aufl. München 2003, Bd. 5, Sp. 1272 f.)

Kolophone sind nicht auf die grundlegende Funktion beschränkt, pragmatische Informationen zur Handschriftenentstehung zu geben, die im gedruckten Buch der Frühen Neuzeit zunehmend in andere paratextuelle Bereiche wie das Impressum ausgelagert werden. Sie werden auch für verschiedene Formen der Kommentierung genutzt, die sowohl formelhaft als auch individuell gestaltet sein können. Für diese Kommentierungen wurden im Rahmen der Projektarbeit fünf semantische Kategorien gebildet, die den erfassten Kolophonen zugewiesen werden können. 

Beispiele und semantische Kategorien

1. Ein häufiges Merkmal sind geistliche Formeln und Fürbitten, mit denen die Schreiber Gottes Segen und/ oder spirituellen Lohn für ihre Tätigkeit erbitten. Hierbei kann auch die fürbittende Hilfe der Buchbenutzer/ Rezipienten erbeten werden:

Bittent got für den / schriber mit einem Ave maria; Karlsruhe, Landesbibliothek, Cod. St. Peter pap. 16, fol. 259v

2. Manchmal enthalten Kolophone Reflexionen auf den verschriftlichten Text oder den Codex

Wer den gaist Ihesu hette / Diß buoch er sicher wol / verstät wer den aber / nit hett Der verstät / nit wol was es seit / Disz buoch das hie vor / geschriben stät, das / do haisset das leben / vnd liden Jhesu Das hat / geschrieben Johannes / Karmer von Mindelh//ain in der vasten / am Donstag vor Letare / im LXXJ iar etc. Wolfenbüttel Cod. 1.11 Aug. 2º, fol. 235r

3. Viele Kolophone verzeichnen Reflexionen auf die Schreibtätigkeit in ihren körperlichen wie auch geistigen Dimensionen:

Fröer was ich swester Margret Mandlin da ich / schreib daz endt den den anfang deo gratias; Cgm 4274, fol. 135r

oder

Hab ich nit wol geschriben / so hab ich aber die will vertriben; Cgm 862, fol. 259r

oder

Diß buoch ward vß geschriben vff sanct Michels oben / von einer armen schwester in Gnodental Do man zalt von Christus / geburt dusig fierhundert achtzig vnd siben jor; Freiburg i. Br., Universitätsbibliothek, Hs. 253, fol. 366v

Recht häufig finden sich in diesem Zusammenhang Fürbitten für die Hände des Schreibers, die gesegnet und erhalten werden sollen:

Das buoch hat geschriben / Lienhart Vischer mit / seiner hand got behuit / jm sein hend jn gottes / namen amen / 1461 Jar / AMEN; Cpg 639, fol. 107v

4. Von besonderem Interesse sind die vergleichsweise seltenen Kolophone, in denen sich Selbstaussagen der Schreiber/ Schreiberinnen, also Angaben zur eigenen Person finden:

Volendet vnd geschriben / ist dises Püchlin dem durch//leüchtigen hochgeboren fürsten / vnd herren. herren Sigmun//den. Pfaltzgraue bei Rein. / Hertzog Jn obern vnd nidern / Beyren. von mir Paulsen / Sewer profesß vnd korpruder / zu vndensdorff. Mertin Sew//ers Pruder. Etwo seiner fürst//lichen genaden kamerer vnd getreuer diener. Nach Cristi / vnsers lieben herren geburdt Tausent vierhundert. vnd / Jn dem Newn vnd achtzigisten / Jahre meinem gnädigen herren; Cgm 24, fol. 52ra

5. Ein weiteres Merkmal, dem semantische Signifikanz zugesprochen wird, ist eine ausgefallene oder besonders poetische Gestaltung von Kolophontexten, da diese auf ein elaboriertes Selbstverständnis der schreiberischen Tätigkeit schließen lässt. Dazu gehören z. B. gereimte Kolophontexte: 

Wer ditz Buechel lesen will. / der sol des niht duonken vil. / Daz er fuer den schriber got. / bit. daz er im owz aller not. / helfe. an sele vnd an libe. / vnd den poesen geist vertribe. / Von im an sinem ende. / daz er on missewende. / Besitze barmhertziklich. / mit got daz ewig himelrich / Bruder Engelhart genant. / in Eberach ist er bekant; Cgm 172, fol. 71r

Kriterien der Erfassung

Nicht immer ist die Bestimmung von Kolophonen und die Abgrenzung von anderen Textphänomenen eindeutig. Im Rahmen der Datenerhebung für das DFG-Projekt wurde die Arbeitsdefinition für Kolophone genauer konturiert und um weitere Kriterien ergänzt. Im Folgenden werden die wesentlichen Parameter skizziert, nach denen über die Erfassung von Kolophonen entschieden wird, um die Struktur des Projekt-Datenbestandes nachvollziehbar zu machen.

Kolophone ohne pragmatische Daten: 

Es werden auch solche Schreiberverse als Kolophon aufgenommen, die keine der typischen pragmatischen Informationen wie Schreibername/ Datierung/ Ort enthalten, sofern diese in anderer Form einen dezidierten Bezug zur Schreibinstanz bzw. zum Schreibprozess formulieren. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Kolophontext sichtbar vom Haupttext abgegrenzt ist.

Bittent got fuor den schriber Amen; Abb. Cpg 403, fol. 255r

Schreibernamen:

Schreibernamen werden immer als Kolophon aufgenommen, auch wenn sie nicht durch weitere Inhalte, Formeln oder Kommentare ergänzt werden, da die Namensnennung allein schon eine signifikante Markierung der Schreibtätigkeit und des Selbstbewusstseins der Schreibenden darstellt. Initialen allein werden hingegen nicht aufgenommen, da nicht sicher bestimmt werden kann, ob diese sich auf einen Schreiber/ eine Schreiberin beziehen.

Datierungen:

Eine einfache Datierung in Zahlenform ohne weitere Angaben wird nicht als Kolophon erfasst. Dagegen wird eine Datierung in Textform, die z. B. durch die Angabe von christlichen Feiertagen dargestellt ist, als Kolophon gelesen. Solche vertexteten Datierungen können sehr variabel gestaltet sein und stellen damit im Unterschied zu einer numerischen Datierung eine individuelle Artikulation der Schreibinstanz dar.

Dit buch ist geschri//ben da man schreib / noch Crist gebort / virczehen hondirt / iare vnnd jn deme / achczechendesten iar / vnnd geendit uf die / fassenacht Amen; Gießen, Universitätsbibliothek, Hs. 995a, fol. 53vb

Endstellung:

Schreibertexte, die an anderer Stelle als am Ende des Codex oder eines der enthaltenen Texte stehen, z. B. Incipits, Glossen oder Federproben, werden nicht als Kolophone erfasst, auch wenn sie Kommentare zum Text oder zum Schreibprozess enthalten. 

Differenzierung Kolophon und Explicit/ Qualität von Formeln: 

Kolophone sind nicht identisch mit Explicits, also mit Textschlussformeln, wie sie am Ende eines großen Teils der Texte in mittelalterlichen Handschriften zu finden sind, wie z. B. explicitfinitus est oder auch geistliche Formeln wie deo gracias. In der Forschung wird nicht immer zwischen Kolophonen und Explicits unterschieden, da beide auf die Schreiber/ Schreiberinnen der jeweiligen Handschrift zurückgehen können. Nicht immer lässt sich aber genau bestimmen, ob die Explicits tatsächlich den Schreibern/ Schreiberinnen der jeweiligen Handschrift zuzuordnen sind oder als Bestandteil des verschriftlichten Textes kopiert wurden (was gelegentlich auch bei Kolophonen der Fall ist).  

Im Projekt wird das Explicit als Textschlussformel vom Kolophon als Kommentar zum Abschluss des Schreibprozesses differenziert (ähnlich unterschieden z. B. bei Schiegg 2016, S. 130; Smith 2000, S. 30 f.). Auch wenn sie im Kontext der jeweiligen Handschrift entstanden sind, stellen reine Explicit-Formeln wie explicit oder finitus estcompletus est keinen besonderen Bezug zur Schreibinstanz, Schreibtätigkeit oder dem Codex her und werden daher nicht als Kolophon erfasst. In den Kolophon-Datensätzen werden aber immer die Explicits bzw. die Schlussverse des dem Kolophon voranstehenden Textes miterfasst und als eigenes Transkript bereitgestellt. So kann die Frage der Abgrenzung von Explicit und Kolophon im Einzelfall nachvollzogen und individuell bewertet werden, auch können durch die parallele Abbildung der Transkripte etwaige semantische Relationen zwischen Explicit und Kolophon sichtbar gemacht werden. 

Explicit hatt ein end daz buoch Vitas fratrum ordinis predicatorum der brueder leben
Anno domini M°CCCC°LXXXIX°.
Bitten gott fir mich arme durch gott; Cgm 416, fol. 161v

Ähnlich der Abgrenzung von Explicit und Kolophon ist die Frage nach der Bewertung von geistlichen Schlusswörtern und Kurzphrasen wie Amen oder Deo gracias. Diese Formeln werden allein nicht als Kolophon gefasst. Diese das Textende ausdrückenden Formeln finden sich im Anschluss an einen sehr großen Teil der in den Handschriften des Mittelalters überlieferten Texte, auch wenn sie originär von den Schreibern/ Schreiberinnen hinzugefügt sind, haben sie für sich allein keinen spezifischen Aussagewert für die Schreibinstanz oder den Schreibprozess. Diese Formeln als Kolophone aufzunehmen, würde den Aussagewert der Datensammlung verwässern. 

Amen des hilf vns / ihu [Jesu] crist; Cpg 352, fol. 270va

Solche Formeln werden daher nur erfasst, wenn sie mit weiteren Angaben wie Datierungen, Schreibernamen oder anderen Inhalten verbunden sind.

biddet vor den mester dusses / bokes Pater noster / Ave maria; Heidelberg, Universitätsbibliothek,Cod. Trübner 148, fol. 125r